Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) möchte zusammen mit einer Arbeitsgruppe die Kinder- und Jugendarbeit im Havelland verstärken und fordert kurz vor der Kommunalwahl 2019 Kreistagskandidaten zur Stellungnahme auf. Eigentlich keine schlechte Idee. Doch für mich ist da etwas faul.

Die Fall beginnt mit einer E-Mail die ich am 9. Mai 2019 um 19:17 von Marcel Gunia erhalten habe:

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrte Kandidierende zur Kreistagswahl 2019 im Havelland,

 

die AG78 im Havelland ist das Gremium im Kreis, auf dessen Ebene sich Träger der Jugendhilfe treffen, um die Angebote für Kinder und Jugendliche im Landkreis abzustimmen. Mangels eines Jugendverbandes auf Kreisebene (Jugendring), werden dort auch fachpolitische Diskussionen geführt.

 

Im Rahmen unserer Sitzungen haben wir die unserer Meinung nach wichtigen Fragen der Kinder- und Jugendarbeit für die nächsten Jahre zusammen getragen.

 

Wir bitten Sie, sich bis zum 17. Mai 2019 zu den Fragen zu positionieren. Wir werden Ihre Antworten sowohl in Fachkreisen verbreiten, als auch veröffentlichen, um Menschen, die sich für Kinder und Jugendarbeit engagieren (wollen), eine Entscheidungshilfe für die Kreistagswahl zu geben.

 

Es sind nicht ganz wenige Fragen geworden, aber Kinder und Jugendliche brauchen unsere Zeit; danke, dass Sie sich schon jetzt welche nehmen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Marcel Gunia
Tilo Windt
Anne Gillwald-Leppin
Matthias Nobre de Farias Bölle
Sprecher der Arbeitsgruppe „Kinder- und Jugendarbeit“ der AG78 im Havelland

 

Mit freundlichen Grüßen
Marcel Gunia
Verwaltungsleiter
Arbeiter-Samariter-Bund

Ich muss zugeben, dass ich mich bisher mit diesem Thema kaum – zumindest nicht vor einem solchen Publikum – beschäftigt habe. Ich habe keine Kinder und somit keine familiäre Erfahrung. Meine Schwerpunkte sind Digital & Wirtschaft. Aber ich weiß, dass ich mit einer Perspektive von mindestens 15 Jahren an die Zukunft meiner Nachbarn im Havelland denke. Daher setze ich mich für den Gigabit-Ausbau, zeitgemäße Bildung und die Gründung von Kinder- und Jugendparlamenten an den Schulen ein.

Der ASB erhebt, nach meinem Verständnis, den Anspruch alle Kreistagskandidaten zur Kommunalwahl 2019 im Havelland angeschrieben zu haben – zumindest sollte der ASB das fairerweise tun, damit ALLE die Möglichkeit zur Stellungnahme haben. In der AG 78 sind m.W. auch die Diakonie und weitere NGOs (Nichtregierungsorganisationen) bzw. Verbände vertreten.

Ich kandidiere mit der Wählergruppe Bündnis für Friesack auch für den Kreistag Havelland. Ich stehe mit Kandidaten anderer Wählergruppen und Parteien im informativen Kontakt. Wir sitzen im Havelland eigentlich alle im gleichen Boot. Natürlich gibt es immer wieder deutliche Unterschiede bei Sichtweisen und Zukunftsplänen. Trotzdem ist mir ein fairer und partnerschaftlicher Austausch wichtig. Dazu gehören auch gleiche Chancen.

Gleiche Chancen für alle Parteien und Kandidaten

Leider liegen mir Indizien vor, dass nur ausgewählte Parteien und Kandidaten vom ASB erreicht wurden. Das bereitet mir große Bauchschmerzen. Für mich entsteht der Eindruck, dass sich die höheren Ebenen hinter den NGOs tendenziös in die politische Stimmungsmache einmischen und nur ausgewählten Kreistagskandidaten Gehör verschaffen möchten. Wenn das der Fall ist, dann kann ich eine solche Selektion nicht akzeptieren.

Es gibt immer wieder Gerüchte, dass NGOs – unter dem Deckmantel von Gemeinwohl und Philanthropie – Macht- und Profitinteressen sowie eine politische Agenda verfolgen. Die Leidtragenden sind im Zweifel die engagierten Mitarbeiter der NGOs auf der untersten Ebene. Die Wertschätzung ihrer Arbeit wird gefährdet und nicht alle werden fair entlohnt.

Im Vorfeld der Wahl einen solchen Fragenkatalog nur an ausgewählte Kandidaten zu senden, fördert Intransparenz und ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker.

Daher lade ich an dieser Stelle alle Parteien und Kandidaten für die Kreistagswahl 2019 ein, die u.g. Fragen des ASB aufzugreifen und zu beantworten:

Fragenkatalog der ASB zur Kommunalwahl HVL 2019

1. ALLGEMEIN

 

1.1 Welche drei Stichworte fallen Ihnen zuerst beim Thema „Aufwachsen im Havelland“ ein? (Bitte nicht lange überlegen und nachträglich nicht mehr ändern! 😉 )

 

1.2 Was sind Ihrer Meinung nach die drei größten Probleme der Kinder und Jugendlichen im Havelland?

 

2. JUGENDFÖRDERUNG / ERZIEHERISCHER KINDER- UND JUGENDSCHUTZ

Für den erzieherischen Kinder- und Jugendschutz stehen beim Landkreis 22.300 Euro im „Jugendfördertopf“ und eine Mitarbeiterin im Jugendamt zur Verfügung. Im Landkreis leben circa 18.189 Kinder- und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren (Quelle dstatis.de; Datenstand 2017). Somit stehen rechnerisch ca. 1,23 Euro pro Kind/Jugendlichem an Projektförderung zur Verfügung, um sie und deren Eltern mit Projekten nach §14 SGB VIII zu befähigen, sich vor gefährdenden Einflüssen zu schützen.

 

2.1 Wie soll sich die Prävention im Havelland in den nächsten 5 Jahren entwickeln?

 

2.2 Wie soll sich die kreisliche Jugendförderung weiter entwickeln (Ferienfreizeiten, außerschulische Bildungsmaßnahmen, internationale Jugendarbeit etc.)?

Nach § 11 des SGB VIII sind „Jungen Menschen […] die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen.“

 

2.3 Ist es Kindern und Jugendlichen zuzumuten, dass ihnen in ihrem Wohnort kein Angebot der Jugendarbeit nach §11 SGB VIII (inkl. Jugendclub, Jugendfeuerwehr, sonstige außerschulische Jugendfreizeitangebote) zur Verfügung stehen? Wird der Anspruch aus §11 in Elslaake und Falkensee derzeit gleichermaßen bedient?

 

2.4 Wie lange sollte ein junger Mensch aus eigener Kraft oder in öffentlichen Verkehrsmitteln maximal unterwegs sein müssen, um ein solches Angebot in Anspruch nehmen zu können?

 

2.5 Was werden Sie für die Teilhabechancen junger Menschen insbesondere in den ländlichen Räumen tun?

 

3. DEMOKRATIEFÖRDERUNG / KINDER- UND JUGENDBETEILIGUNG

Im Rahmen des §8 des SGB VIII sind „Kinder und Jugendliche […] entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen.“. Seit 2018 gilt der §18a der Brandenburgischen Kommunalverfassung: „Die Gemeinde sichert Kindern und Jugendlichen in allen sie berührenden Gemeindeangelegenheiten Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte.“

 

3.1 Wie sollen Kinder- und Jugendliche an Entscheidungen von Kreisverwaltung/Kreistag zukünftig mitwirken?

 

3.2 Was erwarten Sie von Kindern und Jugendlichen in Bezug auf Beteiligung?

 

3.3 Wie sollen Kinder und Jugendliche auf diese Aufgabe vorbereitet bzw. dabei unterstützt werden?

 

3.4 Wird es in der Kreisverwaltung eine/n hauptamtliche/n Kinder- und Jugendbeauftragte/n (§18a BrbKV) geben?

 

4. ZUWANDERUNG/ZUZUG

Das Havelland gewinnt. Die Bewohnerzahlen steigen kontinuierlich. Vor allem Berlin und die Europäische Union – aber auch der Rest der Welt – sind Quellen für Neu-HavelländerInnen und deren Kinder.

 

4.1 Welche Maßnahmen soll die Landkreisverwaltung anstreben, um das Ankommen im Havelland insbesondere für junge NeubürgerInnen zu gestalten?

 

4.2 Werden Sie sich für einen Jugendmigrationsdienst im Havelland einsetzen?

 

4.3 Wie soll das zivilgesellschaftliche Engagement gestärkt werden, um junge aber auch ältere Menschen zu motivieren, sich für gemeinschaftliche Aufgaben (z.B. Integration) einzubringen?

 

5. BENACHTEILIGUNGSAUSGLEICH

Der Landkreis Havelland ist mit Blick auf die Benachteiligungen seiner Kinder und Jugendlichen sehr heterogen.

Während der Anteil von Kindern, die in relativer Armut aufwachsen in Nauen bei ca. 20 % liegt, spielt das Problem mangelnder Teilhabechancen aufgrund fehlender Finanzen in Dallgow-Döberitz kaum eine Rolle. Dort hingegen sind insbesondere Jugendliche pendelnder (aber finanzkräftiger) Eltern von Vernachlässigung im Sinne einer „Wohlstandsverwahrlosung“ betroffen.

Besonders in Rathenow kommen neben Armutsproblemen (30%!) auch noch migrationsbedingte Benachteiligungen hinzu, also Sprachbarrieren und Unkenntnis des Funktionierens des Gemeinwesens.

 

5.1 Welche Maßnahmen werden Sie im Landkreis voranbringen, um die verschiedensten Benachteiligung der Kinder und Jugendlichen abzubauen?

Jugendarbeitslosigkeit ist im Havelland ein übergreifendes Problem. In den meisten Gemeinden nicht so stark gesunken, wie die Arbeitslosigkeit insgesamt. Zugleich werden junge Menschen bei der Karriereplanung unterschiedlich behandelt, in Abhängigkeit davon, ob ihre Eltern bestimmte Sozialleistungen erhalten. Dies führt nicht selten zu Stigmatisierung benachteiligter Jugendlicher.

 

5.2 Es gibt die Idee, die Karriereberatung von jungen Menschen in einheitlichen Strukturen zusammen zu führen (Jugendberufsagenturen). Werden Sie die Etablierung solcher Institutionen im Havelland vorantreiben und wenn ja, wie?

 

6. FACHKRÄFTEMANGEL / QUALITÄTSSICHERUNG

Geförderte Stellen der Jugendarbeit sollen mit Fachkräften (z.B. SozialpädagogInnen, SozialarbeiterInnen, ErzieherInnen) besetzt werden (Fachkräftegebot). Derzeit ist es mangels Angebot im Berlin-fernen Raum des Havellandes nahezu unmöglich, SozialpädagogInnen oder SozialarbeiterInnen einzustellen. Im Osthavelland ist die Situation nicht deutlich besser. In Rathenow ist zum Beispiel seit Juli 2018 die Stelle eines Streetworkers ausgeschrieben. Zwar gab es Bewerber, die persönlich geeignet waren, aber ihnen fehlte die Qualifikation oder sie waren nicht bereit, diese im Rahmen der angebotenen Vergütung nachzuholen.

 

6.1 Wie wollen Sie insbesondere mit dem Fachkräftemangel an ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen im Landkreis umgehen?

 

6.2 In welchem Maße sollen die freien Träger der Jugend(sozial)arbeit gefördert werden (Anlehnung an TVÖD, Sach-, Regie- und Verwaltungskosten)?

 

7. KONKRETES

Angenommen, Sie sind nach der Wahl Mitglied einer mehrheitsführenden Koalition/Zählgemeinschaft im Kreistag.

 

7.1. Welches sind die ersten 3 Maßnahmen in der Kinder- und Jugendarbeit/-hilfe, die Sie durchsetzen werden?

DANKE!
Vielen Dank für die Zeit, die Sie sich durch das Beantworten der Fragen schon jetzt für die Kinder- und Jugendarbeit im Landkreis genommen haben!

Hier das Originaldokument: Fragen an Kommunalpolitik (PDF)

 

Wer hat die Fragen, mit welchem Interesse, formuliert?

Bei „jugendpolitischen Fragen“ hätte ich Fragen erwartet, welche direkt von den Kindern und Jugendlichen kommen oder maßgeblich in Zusammenarbeit mit ihnen entstanden sind und ihre direkten Interessen wiederspiegeln. Art der Fragestellung und Inhalt lassen mich daran zweifeln. Daher habe ich eine Rückfrage an den ASB gestellt:

Guten Tag.

 

Ich versuche die Fragen gerne zu beantworten. Ich habe vorab eine grundsätzliche Verständnisfrage: Sind die Fragen unter direkter Beteiligung der Kinder- und Jugendlichen entstanden, und wünschen diese sich Antworten auf die Fragen? Falls ja, mit ca. wie vielen Kindenr/Jugendlichen und in welchem Format entstanden?

 

Oder sind die Fragen durch Sie (die „Erwachsenen“) ohne direkte Beteiligung der Kinder und Jugendlichen entstanden? Dass Sie im letzteren Fall grundsätzlich das Wohl der Kinder und Jugendlichen im Blick haben, bezweifle ich nicht. Doch Transparenz an dieser Stelle würde mir helfen Ihre Rolle besser zu verstehen.

 

Viele Grüße / Best Regards, Christoph Köpernick

Knapp einen Tag später erhielt ich diese Antwort:

Sehr geehrter Herr Köpernick,

 

die Fragen sind innerhalb der Arbeitsgemeinschaft nach §78 (AG 78) entstanden. Dies sind Fragen der Sozialarbeiter (in dem Falle der offenen Jugendarbeit, u.a. Streetwork, Schulsozialarbeit, Sport und Jugendclubs) an die potentiellen Kandidaten.

 

Die AG 87 ist ein Fachgremium zu den jeweiligen Arbeitsbereichen– im Havelland gibt es diese u.a. für die Bereiche Kita, Hilfen zur Erziehung und offene Jugendarbeit)

 

(Hinweis zur Erläuterung der AG 78:

 

§ 78 SGB VIII Arbeitsgemeinschaften

 

Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen die Bildung von Arbeitsgemeinschaften anstreben, in denen neben ihnen die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe sowie die Träger geförderter Maßnahmen vertreten sind. In den Arbeitsgemeinschaften soll darauf hingewirkt werden, dass die geplanten Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden und sich gegenseitig ergänzen.)

 

Aus diesem Grunde sind die Fragen des Gremiums tendenziell seitens der Fachebene.

 

Jugendliche sind genauso Bestandteil der Arbeitsgruppe zur Erstellung der Fragen gewesen.

 

Und die beteiligten Jugendlichen freuen sich auf die Antworten, wie die Fachkräfte.

 

Diese Fragen an die Kommunalpolitik auszureichen ist bereits eine kleine Tradition der Arbeitsgruppe.

 

Gerne stehe ich Ihnen für persönliche Rückfragen auch telefonisch zur Verfügung.

 

Mit freundlichen Grüßen

Marcel Gunia

Gut zu wissen. Mir ist nun klar, dass es Fragen des ASB und weiterer NGOs in der Arbeitsgruppe sind, aber keine Fragen die direkt von den Kindern und Jugendlichen kommen. Das muss ja nicht schlecht sein, aber ich würde es mir anders wünschen. Und ich hätte mir auch gewünscht, wenn es leichter sichtbar gewesen wäre, welche NGOs in der Arbeitsgruppe sitzen. Nur wenn man solche Hintergründe kennt, kann man abwägen, welche Interessen hinter welchen Fragen stecken. Das muss jeder für sich selbst herausfinden. Ob es der AG 78 mit dem Fragenkatalog an die Politik nur um die Abstimmung und Ergänzung von Maßnahmen gem. § 78 SGB 8 geht, vermag ich nicht abschließend zu beurteilen.

Im Austausch mit Nachbarn, die etwas mehr Ahnung von Kinder- und Jugendarbeit haben als ich, kamen Hinweise, dass die Fragen der AG 78 sehr speziell seien und deren Beantwortung eigentlich tiefe Kenntnis der Rechtslage erfordere. U.a. müsse man das KJHG kennen und die Unterscheidung zwischen Pflicht- und freiwilligen Aufgaben des Jugendamtes und seiner Mitarbeiter bzw. weiterer Gremien verstehen. In Anbetracht der kurzen Frist, Fülle von Fragen und dem erforderlichen Tiefenwissens finde ich das Vorgehen der Arbeitsgruppe zumindest „unglücklich“.

Aber genug gemeckert. Jetzt mache ich mich an die Beantwortung der Fragen:

Meine Antworten auf den Fragenkatalog

1. ALLGEMEIN

1.1 Welche drei Stichworte fallen Ihnen zuerst beim Thema „Aufwachsen im Havelland“ ein? (Bitte nicht lange überlegen und nachträglich nicht mehr ändern! 😉 )

sicher, traditionell, langsames Internet

1.2 Was sind Ihrer Meinung nach die drei größten Probleme der Kinder und Jugendlichen im Havelland?

  1. Es gibt fast nur Jobs in Handwerk, Dienstleistung, Landwirtschaft und Logistik. Zu wenig Jobs für Tätigkeiten im Digitalsektor. Keine relevanten Start-Ups oder innovatives Gewerbe. Dazu muss man (noch) nach Berlin fahren.
  2. Zu wenig zukunftsgerichtete Bildungsangebote. Keine öffentliche Uni/Hochschule im Landkreis Havelland, nicht einmal passende private Hochschulen oder Bildungsangebote.
  3. Traditionelle Sichtweisen einiger Eltern bzw. Älteren bremsen junge Menschen mit kreativen Gedanken bei der Entwicklung eines angemessenen Selbstbewussteins. Während in größeren Städten auch progressive Denkweisen anzutreffen sind, scheint im Havelland noch zu gelten: „Alter und Weisheit schlägt Jugendlichkeit und Mut“.

2. JUGENDFÖRDERUNG / ERZIEHERISCHER KINDER- UND JUGENDSCHUTZ

Für den erzieherischen Kinder- und Jugendschutz stehen beim Landkreis 22.300 Euro im „Jugendfördertopf“ und eine Mitarbeiterin im Jugendamt zur Verfügung. Im Landkreis leben circa 18.189 Kinder- und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren (Quelle dstatis.de; Datenstand 2017). Somit stehen rechnerisch ca. 1,23 Euro pro Kind/Jugendlichem an Projektförderung zur Verfügung, um sie und deren Eltern mit Projekten nach §14 SGB VIII zu befähigen, sich vor gefährdenden Einflüssen zu schützen.

2.1 Wie soll sich die Prävention im Havelland in den nächsten 5 Jahren entwickeln?

Wer Langeweile und keine Perspektive hat, sowie immer nur von anderen gesagt bekommt was nicht geht, kommt automatisch auf dumme Gedanken. Wenn wir spannende Bildungsangebote und Jobchancen schaffen, Mut und Eigeninitiative honorieren, sowie die Meinungen und Wünsche Jüngerer ernst nehmen, dann ist das die beste Prävention. Die typische Präventionsarbeit bekämpft m.E. nur die Symptome, aber nicht die Ursachen. Ich muss jedoch zugeben, dass ich in dem Thema nicht tief genug drin bin. Ich habe bisher eine kleine Zahl von Sozialarbeitern, Erziehern und Betreuern kennengelernt. Die machen für mich einen kompetenten Eindruck. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es am Geld mangelt – es gibt zahlreiche Förderprogramme über den o.g. Topf hinaus. Es mangelt eher an der Zeit der Jugendlichen. Schule und Vereine lasten die meisten jungen Leuten bereits stark aus. Einen großen Bedarf für weitere Angebote sehe ich nicht.

2.2 Wie soll sich die kreisliche Jugendförderung weiter entwickeln (Ferienfreizeiten, außerschulische Bildungsmaßnahmen, internationale Jugendarbeit etc.)?

Nach § 11 des SGB VIII sind „Jungen Menschen […] die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen.“

Ich habe mich, Mitte 2018, beim OSZ Havelland in Friesack als Gastlehrer für Digital- und Innovationsthemen und Workshops aus der Praxis angeboten. Das Interesse der Lehrer war grundsätzlich da, aber im Rahmen des Lehrplans ist kaum Luft dafür. Mit dem Innovation Hub Havelland (iHVL) haben wir eine private Initiative gestartet und dafür viel Werbung gemacht. Letztendlich hat sich kein einziger Schüler dafür interessiert. Ich habe das Gefühl, dass es nicht mehr Angebote braucht, sondern eine bessere PR und Kommunikation der vorhandenen Angebote.

2.3 Ist es Kindern und Jugendlichen zuzumuten, dass ihnen in ihrem Wohnort kein Angebot der Jugendarbeit nach §11 SGB VIII (inkl. Jugendclub, Jugendfeuerwehr, sonstige außerschulische Jugendfreizeitangebote) zur Verfügung stehen? Wird der Anspruch aus §11 in Elslaake und Falkensee derzeit gleichermaßen bedient?

Ich kenne den konkreten Sachverhalt zu wenig, hatte jedoch bisher nicht das Gefühl, dass es zu wenig Optionen gibt. Bisher sind, z.B. im Amtsbereich Friesack, keine jungen Leute direkt oder indirekt auf mich zugekommen, dass Bedarf an mehr Angeboten besteht. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass dies eine Forderung von Verbänden ist. Mir ist aber unklar ob hier wirklich eine signifikante Anzahl von Jugendlichen repräsentiert wird. Mir würde es helfen, wenn sich die Jugendlichen direkt zusammenschließen und bspw. eine Liste vorlegen, aus welcher ersichtlich wird: Wer wünscht sich konkret was? Dann können wir helfen das öffentlich zu machen und über Maßnahmen nachdenken. In Friesack gibt es seit Kurzem die Plattform Friesack mit Vision, das könnte der richtige Ort dafür sein.

Es gibt bereits viele Vereine und nachbarschaftliche Freizeitaktivitäten. Ich vertraue darauf, dass die Jugendlichen in der Lage sind eigenständig herauszufinden was sie mit ihrer Zeit anfangen können. Und wer augenscheinlich rumlungert, ist vielleicht gerade in einer Selbstfindungsphase oder am Nachdenken. Ich weiß nicht ob Kinder- und Jugendliche ein noch volleres Programm für ihre Freizeit brauchen.

2.4 Wie lange sollte ein junger Mensch aus eigener Kraft oder in öffentlichen Verkehrsmitteln maximal unterwegs sein müssen, um ein solches Angebot in Anspruch nehmen zu können?

Sofern es gar keine privaten Alternativen (u.a. Vereine) gibt, dann ca. 60 Minuten. Es ist ja nicht so, dass man 60 Minuten Kohle schleppen muss, sondern im Bus sitzt, nachdenken, ruhen kann, ggf. auf dem Smartphone oder mit Mitreisenden kommuniziert.

2.5 Was werden Sie für die Teilhabechancen junger Menschen insbesondere in den ländlichen Räumen tun?

Ich möchte die Gründung eines Kinder- und Jugendparlamentes an den Schulen in Friesack unterstützen. Dafür biete ich mich mit Methodik und Material an. Die Lego-Serious-Play-Methode ist dafür m.E. sehr gut geeignet und ich bin erfahren darin diese zu moderieren. Ich biete mich gerne für den Kick-Off an. Dazu hatte ich Anfang März 2019 mit Matthias Nobre de Farias Bölle gesprochen und ich wollte im weiteren Verlauf Nägel mit Köpfen machen. Der Ball liegt nun bei ihm und der Kooperationsschule Friesack.

3. DEMOKRATIEFÖRDERUNG / KINDER- UND JUGENDBETEILIGUNG

Im Rahmen des §8 des SGB VIII sind „Kinder und Jugendliche […] entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen.“. Seit 2018 gilt der §18a der Brandenburgischen Kommunalverfassung: „Die Gemeinde sichert Kindern und Jugendlichen in allen sie berührenden Gemeindeangelegenheiten Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte.“

 

3.1 Wie sollen Kinder- und Jugendliche an Entscheidungen von Kreisverwaltung/Kreistag zukünftig mitwirken?

Über Kinder- und Jugendparlamente. Siehe meine Antwort bei 2.5. Ergebnisse daraus müssen dann an alle Kreistagsabgeordneten getragen werden. Im Idealfall über eine öffentliche Online-Plattform nach dem Vorbild mein.berlin.de oder Friesack mit Vision.

3.2 Was erwarten Sie von Kindern und Jugendlichen in Bezug auf Beteiligung?

Dass die Beteiligung direkt von den Kindern und Jugendlichen kommt und die Erwachsenen der AG 78 nur als Moderatoren und Aggregatoren, aber nicht im darüberhinausgehenden Interesse für ihre jeweiligen Verbände, tätig sind.

3.3 Wie sollen Kinder und Jugendliche auf diese Aufgabe vorbereitet bzw. dabei unterstützt werden?

Diese Aufgabe sehe ich bei Erziehern, Jugendarbeitern etc. Die haben, im Gegensatz zu mir, die entsprechende Ausbildung, direkten Kontakt und Erfahrung im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Ich kann nur methodische Impulse liefern falls das gewünscht ist. Siehe dazu wieder meine Antwort bei 2.5. Ich würde mir wünschen, dass die Jugendarbeiter auch digital mit den Kindern und Jugendlichen kommunizieren dürfen, sofern die Kinder und deren Eltern das erlauben. Reine Offline-Jugendarbeit geht m.E. an der Lebenswirklichkeit vorbei.

3.4 Wird es in der Kreisverwaltung eine/n hauptamtliche/n Kinder- und Jugendbeauftragte/n (§18a BrbKV) geben?

Das Thema habe ich nicht auf meiner Agenda und mir ist kein Handlungsbedarf bekannt.

4. ZUWANDERUNG/ZUZUG

Das Havelland gewinnt. Die Bewohnerzahlen steigen kontinuierlich. Vor allem Berlin und die Europäische Union – aber auch der Rest der Welt – sind Quellen für Neu-HavelländerInnen und deren Kinder.

 

4.1 Welche Maßnahmen soll die Landkreisverwaltung anstreben, um das Ankommen im Havelland insbesondere für junge NeubürgerInnen zu gestalten?

Eine digitale Starter-Broschüre mit passenden Tipps und Angeboten zu Jugendgruppen, Vereinen, Freizeitangeboten und Sport. Müsste es soetwas nicht schon geben? Vielleicht möchte sich die AG 78 darum kümmern und eine solche erstellen? Diese dann zusätzlich beim Einwohnermeldeamt auslegen bzw. mit einem QR-Code darauf hinweisen. Jeder der sich neu im Havelland beim Einwohnermeldeamt registriert, sollte darauf aufmerksam gemacht werden.

4.2 Werden Sie sich für einen Jugendmigrationsdienst im Havelland einsetzen?

Neutral.

4.3 Wie soll das zivilgesellschaftliche Engagement gestärkt werden, um junge aber auch ältere Menschen zu motivieren, sich für gemeinschaftliche Aufgaben (z.B. Integration) einzubringen?

Ich möchte an dieser Stelle klar machen, dass wir zunächst jenen, die bereits heute im Havelland ihren Hauptwohnsitz haben, unsere bestmögliche Unterstützung zukommen lassen müssen. Im nächsten Schritt sehr gerne den EU-Bürgern, die in unserer Region leben und arbeiten möchten. Die Integration von Menschen aus Drittstaaten ist nicht mein Schwerpunkt und ich sehe an dieser Stelle ausreichend Initiativen durch bestehende NGOs.

Weiterhin möchte ich klar machen, dass mir Vielfalt sehr wichtig ist. Aus meiner Erfahrung als Unternehmer und Berater weiß ich, dass die besten Lösungen in interdisziplinären und heterogenen Teams entstehen. Dazu zählen auch unterschiedliche Kulturen. Ich sehe jedoch keinen Handlungsbedarf noch mehr Vielfalt weiter zu beschleunigen. Das derzeitige Tempo stellt uns bereits heute vor große soziale und volkswirtschaftliche Herausforderungen.

Die beste Integration ist, wenn wir den Menschen, egal wo sie herkommen, etwas zu tun geben. Arbeit und ehrenamtlicher Einsatz für die Gemeinschaft schaffen Selbstbewusstsein, vertreiben Langeweile und bringen unsere Volkswirtschaft voran.

5. BENACHTEILIGUNGSAUSGLEICH

Der Landkreis Havelland ist mit Blick auf die Benachteiligungen seiner Kinder und Jugendlichen sehr heterogen.

Während der Anteil von Kindern, die in relativer Armut aufwachsen in Nauen bei ca. 20 % liegt, spielt das Problem mangelnder Teilhabechancen aufgrund fehlender Finanzen in Dallgow-Döberitz kaum eine Rolle. Dort hingegen sind insbesondere Jugendliche pendelnder (aber finanzkräftiger) Eltern von Vernachlässigung im Sinne einer „Wohlstandsverwahrlosung“ betroffen.

Besonders in Rathenow kommen neben Armutsproblemen (30%!) auch noch migrationsbedingte Benachteiligungen hinzu, also Sprachbarrieren und Unkenntnis des Funktionierens des Gemeinwesens.

5.1 Welche Maßnahmen werden Sie im Landkreis voranbringen, um die verschiedensten Benachteiligung der Kinder und Jugendlichen abzubauen?

Jugendarbeitslosigkeit ist im Havelland ein übergreifendes Problem. In den meisten Gemeinden nicht so stark gesunken, wie die Arbeitslosigkeit insgesamt. Zugleich werden junge Menschen bei der Karriereplanung unterschiedlich behandelt, in Abhängigkeit davon, ob ihre Eltern bestimmte Sozialleistungen erhalten. Dies führt nicht selten zu Stigmatisierung benachteiligter Jugendlicher.

Es wird viel über Nauen, Falkensee, Dallgow-Döberitz und Rathenow gesprochen. Es wäre wünschenswert und wichtig, wenn Friesack auch Sichtbarkeit bei dem Thema erlangt.

Ich bekämpfe lieber die Ursachen, statt die Symptome. Wir müssen im Havelland zum Innovationsstandort werden. Dazu brauchen wir den Gigabit-Ausbau, das passende Mindset und die richtigen Rahmenbedingungen. Daher engagiere ich mich beim Innovationsbündnis Havelland und ich hoffe, dass dort in Kürze die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um hier wirklich etwas zu bewegen. Dann entstehen wiederum Jobs und Perspektiven.

5.2 Es gibt die Idee, die Karriereberatung von jungen Menschen in einheitlichen Strukturen zusammen zu führen (Jugendberufsagenturen). Werden Sie die Etablierung solcher Institutionen im Havelland vorantreiben und wenn ja, wie?

Klingt sinnvoll. Ist jedoch nicht mein Schwerpunkt. Ich kann nur wiederum auf meinen Beitrag mit dem Innovation Hub Havelland (iHVL) verweisen.

6. FACHKRÄFTEMANGEL / QUALITÄTSSICHERUNG

Geförderte Stellen der Jugendarbeit sollen mit Fachkräften (z.B. SozialpädagogInnen, SozialarbeiterInnen, ErzieherInnen) besetzt werden (Fachkräftegebot). Derzeit ist es mangels Angebot im Berlin-fernen Raum des Havellandes nahezu unmöglich, SozialpädagogInnen oder SozialarbeiterInnen einzustellen. Im Osthavelland ist die Situation nicht deutlich besser. In Rathenow ist zum Beispiel seit Juli 2018 die Stelle eines Streetworkers ausgeschrieben. Zwar gab es Bewerber, die persönlich geeignet waren, aber ihnen fehlte die Qualifikation oder sie waren nicht bereit, diese im Rahmen der angebotenen Vergütung nachzuholen.

 

6.1 Wie wollen Sie insbesondere mit dem Fachkräftemangel an ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen im Landkreis umgehen?

Der anstrengende Job von Erziehern muss angemessen vergütet werden, nur dann gibt es auch Nachwuchs für diesen Beruf. Daher erwarte ich von allen öffentlichen Einrichtungen und freien Trägern, dass sie ihre Mitarbeiter mindestens nach TVöD vergüten. Weiterhin: Keine Absenkung der Ausbildungsstandards, sondern eine weiter erhöhte Grundvergütung und zusätzlich eine Leistungskomponente. Vorschlag für Bonus: Nach 10 Jahren die jeweils betreuten Kinder befragen und deren Lebenssituation bewerten. Abhängig davon erhöhte Bezüge / Rente für die Erzieher & Co. Da keine ausschließliche Kausalität nachgewiesen werden kann, darf der Leistungsanteil nicht zu hoch sein, sondern sollte eher symbolischen Charaketer haben und der Wertschätzung dienen. Vielleicht möchte die AG 78 ein solches Modell einmal diskutieren und dann wiederum einen Vorschlag an die Kreistagsabgeordneten richten?

6.2 In welchem Maße sollen die freien Träger der Jugend(sozial)arbeit gefördert werden (Anlehnung an TVÖD, Sach-, Regie- und Verwaltungskosten)?

Zur Beantwortung dieser Frage fehlt mir das notwendige Hintergrundwissen und ich konnte mir dieses in Anbetracht der kurzen Fristsetzung nicht aneignen.

7. KONKRETES

Angenommen, Sie sind nach der Wahl Mitglied einer mehrheitsführenden Koalition/Zählgemeinschaft im Kreistag.

 

7.1. Welches sind die ersten 3 Maßnahmen in der Kinder- und Jugendarbeit/-hilfe, die Sie durchsetzen werden?

Ich konzentriere mich lieber auf eine Maßnahme: Kinder- und Jugendparlament in Friesack unterstützen. Ich hoffe, dass die Schulen in Friesack mein Angebot annehmen und das in Gang kommt.

Wer es bis zum Ende von meinem Artikel geschafft hat, versteht vielleicht auch, dass der obige Einstieg in dieses Thema eine Diskussion anregen soll, welche im Zweifel allen Beteiligten für tatkräftige Kinder- und Jugendarbeit mehr Sichtbarkeit gibt.

Christoph Köpernick

Nachtrag vom 22.05.2019

Am 20.05.2019 erhielt ich einen Anruf von Marcel Gunia (ASB) indem er versuchte die Verwirrung etwas aufzuklären und mich bat, dass ich den ASB nicht mehr hervorgehoben in meinem Blogartikel nenne. Auf den Wunsch zur Änderung meines Artikels habe ich per E-Mail geantwortet:

Ich werde meinen Blogartikel nicht verändern. Ich habe diesen nach bestem Wissen und Gewissen, mit den mir zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Informationen, verfasst. Jede nachträgliche Änderung, insbesondere auf Ihren Wunsch hin, würde meine Unabhängigkeit infrage stellen.

 

Zudem finde ich die Aussage „Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) möchte zusammen mit einer Arbeitsgruppe…“ auch mit den neuen Informationen nicht falsch. In der Arbeitsgemeinschaft sind, wenn ich § 78 SGB 8 richtig verstehe, anerkannte Träger der freien Jugendhilfe sowie die Träger geförderter Maßnahmen vertreten. Die Trägerschaft ist nicht verpflichtend, sondern ergibt sich eigenmotiviert vom jeweiligen Träger – auch aus wirtschaftlichen Interessen. Der ASB ist einer dieser Träger. Daraus ergibt sich die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft. Mit dem Eintritt in die Arbeitsgemeinschaft gehen die Rechtspersönlichkeiten von ASB, Diakonie etc. nicht verloren und somit auch nicht die jeweiligen Eigeninteressen. Die Träger setzen ihre Maßnahmen weiter auf eigene Verantwortlichkeit um. Die natürlichen Personen in der Arbeitsgemeinschaft handeln im Auftrag der jeweiligen juristischen Person, welche sie vertreten. Zweck der AG ist nur die Abstimmung und Ergänzung von Maßnahmen. Durch die Teilnahme des ASB an der AG 78 kann ich schlussfolgern, dass der ASB zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft die Kinder- und Jugendarbeit im Havelland verstärken möchte.

 

Im weiteren Verlauf des Textes schreibe ich: „In der AG 78 sind m.W. auch die Diakonie und weitere NGOs (Nichtregierungsorganisationen) bzw. Verbände vertreten.“ Es sollte im Interesse der AG 78 und der Träger liegen, dass die Liste der Mitglieder öffentlich leicht auffindbar und transparent ist. Dies ist nicht meine Aufgabe.

 

Ich biete Ihnen an, dass ich Ihre Stellungnahme / Gegendarstellung unter dem Artikel veröffentliche.

Meine E-Mail enthält noch einen zweiten Teil, dazu unten mehr. Aber zunächst:

Stellungnahme der AG 78

Als Antwort erhielt ich am 22.05.2019 eine E-Mail von Tilo Windt, Kinder- und Jugendbeauftragter der Stadt Rathenow. Er hat mich gebeten folgende „Stellungnahme der Sprechergruppe“ zu veröffentlichen. Dem komme ich gerne nach:

Sehr geehrter Herr Köpernick,

als erstes möchten wir uns für Ihre ausführlichen Antworten auf unsere Fragen bedanken.
Uns ist bewusst, dass nicht jeder Kandidat in diesem Themengebiet seinen Tätigkeitsschwerpunkt hat und deswegen für die Beantwortung der Fragen einen längeren Zeitraum benötigt.

Die Verteilung der Mails kam durch unsere Recherche zustande, die sich an der Wahlbekanntmachung orientiert hat.
Letztlich sind die Kreisverbände der Parteien angeschrieben worden. In Ihrem Fall waren Sie der Ansprechpartner für das Wählerbündnis Friesack.
Die weitere Verteilung der Emails lag nicht in unserer Hand. Wir haben auch weitere Antworten erhalten.

Eine kurze Fristsetzung ist uns bewusst gewesen und hat sich leider aufgrund der eigenen Abläufe ergeben. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dieses in Zukunft zu verbessern, damit ausreichend Zeit für die Beantwortung zur Verfügung steht.
Ein Hinweis in den Antworten, dass ggf. nicht jede Frage vollumfassend beantwortet werden kann oder konnte ist völlig ausreichend.

In Ihren Antworten stellen Sie wiederum viele Fragen und blicken mit neuen Augen auf das umfangreiche Themenfeld.
Unser Ziel Aufmerksamkeit für das Thema zu erreichen und in einen fortlaufenden Dialogprozess einzusteigen ist somit in bester Startposition und wir freuen uns auf die kommenden Gespräche.

Gerne weisen wir jedoch darauf hin, dass nicht der ASB als Einzelinitiative die Fragen entwickelt hat, sondern dies eine gemeinschaftliche Entwicklung der AG 78 Kinder und Jugendarbeit ist.
Alle Beteiligten haben einen gleichen Anteil an der Aktion. Der ASB hat an dieser Stelle keine herausragende Stellung.
Herr Gunia hat die Fragen als Sprecher AG 78 Kinder und Jugendarbeit versendet.
Als Dateianhang senden wir einen Auszug aus Ihrem Blog mit den markierten Stellen, die einer aus unserer Sicht einer Korrektur bedürfen. Hierbei geht es nicht um Einflussnahme oder Beeinflussung, sondern ausschließlich um die richtige Darstellung.
In Zukunft werden wir darauf achten, dass die Formulierung in den Emails entsprechend genau sind. Gleichzeitig entschuldigen wir uns für ein mögliches Missverständnis, welches durch ungenaue Formulierungen unsererseits entstanden sein könnte.

Ihre Anregungen für die künftigen Verbesserungen haben wir aufgenommen und werden dies bei zukünftigen Fragen zu möglichen Wahlen berücksichtigen.

Mit freundlichen Grüßen

Sprechergruppe der AG78 im Havelland „Kinder- und Jugendarbeit“

Gute Parteien, schlechte Parteien?

Im Telefonat mit Marcel Gunia am 20.05.2019 kam jedoch noch etwas ganz anderes zur Sprache. Darauf gehe ich im zweiten Teil meiner E-Mail vom 20.05.2019 ein:

Sie hatten telefonisch ausgeführt, dass man den Fragekatalog bewusst nicht an zugelassene Wahlvorschläge eines bestimmten politischen Spektrums versendet habe.

 

Meine Zweifel an Fairness kamen eigentlich durch den Austausch mit Kandidaten von Parteien, die nicht zu dem ausgeklammerten Spektrum gehören. Aber hier hatten Sie ja erläutert, dass auch bei den guten Parteien nicht alle Kandidaten angeschrieben wurden. Vielleicht hatte sich das mit dem Fragenkatalog parteiintern einfach nicht bis zu meinen Kontakten rumgesprochen. Für die Zukunft empfehle ich alle Kandidaten einzeln anzuschreiben – notfalls per Briefpost.

 

Mehr Sorgen bereitet mir, dass die AG 78 entschieden hat, welche politische Richtung die Gelegenheit zur Stellungnahme haben darf und welche nicht.

 

Unterliegt die AG 78 nicht dem Neutralitätsgebot?

Eine direkte Antwort auf diese Frage steht noch aus. Doch dazu unten mehr.

Eine Handvoll Antworten von einigen Parteien

Zwischenzeitlich wurden die Antworten auf den Fragenkatalog von Tilo Windt in der Facebook Gruppe „Jugendarbeit im Havelland“ veröffentlicht: https://www.facebook.com/groups/288796491250421/permalink/1572513869545337/

PDF-Dokument: Antworten von Kandidierenden zur Kreistagswahl 2019 auf Fragen der AG78.pdf

Neben meinen Antworten und einer allgemeinen Rückmeldung von Christine B. Milde (SPD) haben nur Karin Heckert (DIE LINKE), Ursula Lindner (B90/Grüne) und Michael Koch (CDU) die Fragen (teilweise) beantwortet.

Da zugelassene Wahlvorschläge eines bestimmten politischen Spektrums erst gar nicht angeschrieben wurden, habe ich große Sorgen um die politische Neutralität der AG 78. Die Fragen sind gut und wichtig, aber wenn dann sollten ALLE Kandidaten von ALLEN zugelassenenen Wahlvorschlägen die Chance zur Stellungnahme haben. Alles andere hat einen faden Beigeschmack, der im Zweifel von jenen ausgebeutet wird, welche von der AG 78 bewusst ausgeklammert wurden.

Politische Neutralität?

Am Ende des PDF-Dokumentes findet sich nun folgender Hinweis der AG 78, welche vermutlich meine Frage zur politischen Neutralität beantworten soll:

Dass nicht alle Parteien/Wählerlisten geantwortet haben, weist nicht zwangsläufig auf Desinteresse hin, sondern kann auch der Methodik unserer Befragung geschuldet sein: Die in der Arbeitsgruppe erarbeiteten Fragen wurden im Auftrag der Arbeitsgruppe am 9. Mai an im Internet recherchierbare E-Mail-Adressen der zur Kreistagswahl zugelassenen Listenvereinigungen geschickt, wenn die Vereinigung oder deren Mitglieder in den jüngeren Verfassungsschutzberichten nicht als extremistisch geführt wurden.

Das wirft bei mir ehrlich gesagt noch mehr Fragen auf. Reicht es bereits, wenn ein Mitglied der Partei hinter dem Wahlvorschlag in einem Verfassungsschutzbericht als extremistisch geführt wird? Oder wenn es innerhalb einer Partei verschiedene Strömungen gibt? Welche Berichte genau wurden zu Rate gezogen? Gibt es dabei guten und schlechten Extremismus?

Ohne Quellangaben und transparente Nachvollziehbarkeit ist meine Frage zur politischen Neutralität der AG 78 damit nicht beantwortet. Zudem zweifle ich daran, dass das Merkmal „extremistisch“ (aber nicht verfassungsfeindlich!) ausreicht und die AG 78 zur Selektion legitimiert.

Der Verfassungsschutz­bericht 2017 (Stand: Juli 2018 – das ist die aktuellste Version) vom Bundesamt für Verfassungsschutz beschäftigt sich ab Seite 154 mit „Offen extremistische Strukturen in der Partei DIE LINKE“. Die AG 78 hat Karin Heckert (DIE LINKE) die Gelegenheit zur Beantwortung der Fragen gegeben. Wie passt das zusammen?

Nachtrag vom 23.05.2019

Die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) beschäftigt sich in einem Artikel vom 23.05.2019 mit dem Fall und hat tiefer recherchiert.

Der folgende Absatz aus dem MAZ-Artikel fasst die einseitigen Interessen der AG-78-Verbände m.E. gut zusammen:

Es gebe nämlich politische Organisationen, die Wertvorstellungen haben, die im deutlichen Widerspruch zu den Werten der Verbände stehen, die Mitglied in der AG sind. [..] „Somit haben die Verbände sich vorbehalten, nicht alle politischen Organisationen anzusprechen“, sagt Gunia, der selber dem ASB angehört.

Ist damit bewiesen, dass die AG 78 durch die politischen Interessen seiner Mitglieder – Verbände wie ASB, Diakonie & Co. – gesteuert wird? Ich glaube, ja. Liegt ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot vor? Ich meine ebenso, ja. Die Selektion politischer Interessen und Meinungen ist, gem. § 78 SGB 8, nicht die Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft.

Ich respektiere die Wertvorstellungen der Verbände, kann diese sehr gut nachvollziehen und finde diese gar nicht mal unsympathisch. Doch hier geht es nicht um Sympathie. Wer im öffentlichen Auftrag und mit öffentlichen Mitteln finanziert mit Kindern und Jugendlichen arbeitet hat sich politisch neutral zu verhalten!

Einen zweiten Absatz aus dem MAZ-Artikel sehe ich kritisch:

„Wir bedauern sehr, dass diese Pressemeldung vom Thema der Jugendarbeit ablenkt. Uns ging es bei der Anfrage darum, wie sich die Parteien zu Fragen der Jugendarbeit im Havelland positionieren“, sagt der AG-Sprecher.

Ich sehe das anders. Der MAZ-Artikel macht auf die Jugendarbeit aufmerksam! Ich bedauere nur, dass die AG 78 diesen Verdacht selbst-induziert hat. Doch wie sagt man so schön? Es gibt keine schlechte PR. Das Thema Kinder- und Jugendhilfe, sowie die Existenz der AG 78, kommt damit ins Bewusstsein der breiten Bevölkerung im Havelland.

Ich hoffe, dass die AG 78 und deren Verbände daraus lernen und sich in Zukunft politisch neutral verhalten werden.

Dann können wir endlich wieder auf die Arbeitsebene zurückkehren und auch das Thema Kinder- und Jugendparlament in Friesack vorantreiben. Wer Demokratie fördern möchte, muss diese auch respektieren.